Interview mit Andreas Wiedermann

Regisseur Andreas Wiedermann im Interview zu „In Stahlgewittern“ von Ernst Jünger

Regie Andreas Wiedermann
In Stahlgewittern
„In Stahlgewittern“ hat vielfach polarisiert. Ernst Jünger wird vorgeworfen, den Krieg einfach als Naturgewalt, sprich als unaufhaltsames „Gewitter“ hingenommen, ja ästhetisiert und nicht hinterfragt zu haben. Wie gehen Sie mit diesem Vorwurf um? Wie sehen Sie selber Ernst Jünger?

Ernst Jünger ist ja eine der ganz großen Ausnahmeerscheinungen der deutschen Literatur gewesen. Er hat sich nie in künstlerischen Zirkeln bewegt, sein Leben lang wollte er autonom sein, Solitär sein. Für ihn, wie für viele seiner Zeitgenossen, war der Krieg Mittel zum Zweck. Den nackten Kampf ums Dasein hat er wohl als eine Art Rauschzustand erlebt. Später hat er sich andere Suchtmittel gesucht, die Droge, die Einsamkeit, die Anarchie. Menschliche Grenzgänge waren für ihn so etwas wie ein Lebenselixier. Ich denke, ähnlich wie so mancher Extremsportler hat er sich nur in der Gefährdung wirklich gespürt. In seinen frühen Schriften war der „Kampf“ – nicht der Krieg, da unterscheidet er sehr genau – eine Art Narkotikum, der „Vater aller Dinge“, wie er schreibt. Ästhetisch ist er noch ganz dem neunzehnten Jahrhundert verwurzelt. Mit Friedrich Nietzsches Vorstellung vom Übermenschen und Oscar Wildes Dandytum im Reisegepäck stellt er den um sein Leben Kämpfenden in einen fast elementaren Zusammenhang – eine uns heute völlig fremde Gedankenwelt. Gerade diese Fremdheit, diese extrem große Distanz zu unserer pazifistischen Weltsicht, ist das Spannende an diesem Autor, der vielleicht gar kein Schriftsteller, sondern eher einer der letzten romantischen Mystiker gewesen ist.

Es gibt eine Reihe von Weltkriegs-Romanen, die aus unterschiedlicher Perspektive dieses Ereignis und die Entwicklung dazu reflektieren. Was ließ ihre Wahl auf Ernst Jünger fallen? Und wie haben Sie das Buch für die Bühne bearbeitet?

Es gibt tatsächlich eine Menge literarisches Material zum sogenannten Großen Krieg, der Europa ja grundlegend verändert hat. Die Auswirkungen spüren wir bis heute. Bei der Auswahl des Stoffes stellt man sich natürlich die Frage, wie man als Theatertruppe dem Grauen der Schützengräben auch nur annähernd gerecht werden kann. Glücklicherweise haben wir alle keine solchen extremen Erfahrungen machen müssen. Unsere Zielsetzung ist es, in abstrahierten Sequenzen und Bildern so etwas wie die „Quintessenz“ des Krieges zu destillieren. Dafür eignet sich „In Stahlgewittern“ besser als viele andere, tendenziösere und bekennende Anti-Kriegsromane. Anders als beispielsweise in dem ungleich bekannteren „Im Westen nichts Neues“ von Remarque, der ja ein fast hollywoodreifes Melodram verfasst hat, versucht Jünger gar nicht erst, seine Erlebnisse in mundgerechte Dialoge und Szenen zu verpacken. Er beschreibt den Alltag, den ewigen Sturmangriff, die Freizeit, den Regen in großer, teilweise hochartifizieller Sachlichkeit. Gleichzeitig liefert er uns ein unmittelbares Portrait der Situation des Kämpfers. In keinem anderen Text habe ich so konkrete Beschreibungen über die „Technokratie“ des Ersten Weltkriegs, die Frage, warum man inmitten tagelangen Trommelfeuers nicht einfach desertiert, die Absurdität des Krieges, die sich beispielsweise darin äußert, daß die deutschen Offiziere im besetzten Frankreich von französischen Familien höchst gastlich beherbergt wurden etc.
Unsere Fassung ist ein Kompendium aus etlichen Versionen von „In Stahlgewittern“. Von 1920 bis 1978 hat Ernst Jünger sein Buch immer wieder bearbeitet, Striche vorgenommen und Passagen eingefügt. Vermutlich, weil ihm sein Text irgendwann selbst nicht mehr ganz geheuer war. Wir folgen den Aufzeichnungen chronologisch und haben in mehreren Arbeitsetappen jetzt eine endgültige Version erarbeitet.



Jünger schildert den ersten Weltkrieg aus seiner Perspektive, sprich aus der eines jungen Kriegsfreiwilligen, dem es um den „Kampf als inneres Erlebnis“ geht. Er will ein Held sein. Glauben Sie, dass das auf das Publikum von heute verstörend wirkt?

Da bin ich mir sicher. Nach zwei Weltkriegen ist unser Verhältnis zu „Heimat“, „Vaterland“, „Pathos“, „Ehre“ etc. natürlich ein extrem gespaltenes. Wir leben ja in einer Ära der permanenten Ironisierung. Andererseits wächst in unserer Gesellschaft die Sehnsucht nach kollektiven Erlebnissen stetig an. Wir suchen uns unsere Helden eben woanders. Heute werden in großen Sportevents Helden gezüchtet. Der Hollywood-Blockbuster teilt die Welt in klar erkennbare Licht- und Schattenseiten. Als einzige Form der darstellenden Künste hat die Oper keine rückläufigen Besucherzahlen zu vermelden. All das demonstriert uns, wie nötig wir das Pathetische, Spirituelle anscheinend brauchen. Hier sehe ich durchaus große Parallelen zu Jüngers ganz persönlicher Sinnsuche. Wir haben unserer Aufführung den Untertitel „Requiem für zehn Spieler und ein Grammophon“ gegeben. In Form eines Chorprojekt zeigen wir die „Stahlgewitter“ als szenisches Konzert, völlig durch-rhythmisiert und archaisch. So versuchen wir uns selbst und hoffentlich auch den Zuschauer in einen kollektiven Rausch zu versetzen, dem man sich nicht ironisch entziehen kann. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir nur, wenn wir wissen, aus welchen Gedankenströmungen und Lebensentwürfen unser heutiges Europa entstanden ist, die Zukunft konstruieren können.



Sie inszenieren „In Stahlgewittern“ als ersten Teil einer Europa-Trilogie“. In welchen Kontext setzen sie Ernst Jüngers Kriegserinnerungen?

Der Gedanke „Europa“ wird momentan in seinen Grundfesten erschüttert. Um zu verstehen, was schützenswert oder verbesserungswürdig ist, entwickeln wir die nächsten Jahre unser ganz persönliches szenisches Europanorama. Ohne Anspruch auf Objektivität wählen wir drei Textvorlagen aus, die sozusagen symptomatisch für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen sollen. Im Mittelpunkt jedes Teils wird ein „Beruf“ untersucht – diesmal ist es der des Soldaten. Da wir auf gesellschaftliche Themen kurzfristig reagieren wollen, gibt es zwar einen Pool an Projekten, entscheiden werden wir aber erst kurz vor Probenbeginn. Die großen thematischen Bögen werden unser Verhältnis zu Demokratie, das Leben in einer „technisierten“ Gesellschaft und die wachsende soziale Kälte sein.



2014 ist weltweit nicht gerade arm an kriegerischen Auseinandersetzungen. Was kann man mitnehmen aus Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“.

Der junge Akademiker Ernst Jünger flüchtete aus seiner gutbürgerlichen, materialistischen Umgebung und zog als verkrachte Existenz in einen Krieg, Deutschland hatte technisch und wirtschaftlich die Vormachtstellung in Europa inne, um Mitteleuropa brodelte es politisch ganz gewaltig. Das alles ist einhundert Jahre her. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht, aber so manche Parallelen sind durchaus interessant und offensichtlich. Genauso interessant kann es sein, sich einmal in die Rolle des „advocatus diaboli“ zu begeben und das große, gemeinsame und gefährliche „Wir“ in all seiner pathetischen Selbstüberschätzung zu erleben. „In Stahlgewittern“ gibt uns vielleicht eine Ahnung davon, was manche frustrierten Jugendlichen in die Arme radiakler Gruppierungen treibt, oder warum in materiell schwieriger werdenden Zeiten die Suche nach Identifikationsfiguren und gemeinsamen Aufgaben wächst. Und möglicherweise können wir Kriege nur verhindern, wenn wir ihre Ursachen und die Mentalität, die zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führt, im Kern begreifen lernen.