BASKERVILLE – The Lost Cases of Sherlock Holmes
2013 / 2014
Nach der theatralen Auseinandersetzung mit den Glücksversprechen unserer Tage in
A STORY OF WALL STREET nahmen wir uns mit BASKERVILLE in der Spielzeit 2013/2014 das vielleicht strapazierteste Genre der Bühnen- und Filmgeschichte vor: den Krimi. Genauer gesagt, begaben wir uns auf die Spuren des Meisterdetektivs Sherlock Holmes und seines Gefährten Dr. Watson.
In "BASKERVILLE - The Lost Cases of Sherlock Holmes" widmeten wir uns eben jener Spätphase, in dem der klassische Krimi-Mord zugunsten raffinierter gestalteter Abgründigkeiten ersetzt wird. Keinen simplen Tatort-Plot, sondern die unendlich vielfältige Landschaft menschlicher Leidenschaften hat diese Aufführung vor ihrem Publikum ausgebreitet.
Sherlock Holmes und Dr. Watson -eins der berühmtesten Paare der Weltliteratur- diente Theater IMPULS in diesem Projekt als Spielfläche zur Erkundung menschlichen Handelns. Mehrere Jahrzehnte lang schrieb Sir Arthur Conan Doyle in Zeitungen die Fälle des Meisterdetektivs, über sechzig detailliert beschriebene Fälle hatte der logisch kombinierende Amateur zu lösen, bevor er zusammen mit seinem Erzfeind Professor Moriarty einen Berg die Schweizer Alpen hinunterstürzte. Tatsächlich hatten die Geschichten zu diesem Zeitpunkt bereits eine so begeisterte Leserschaft, dass Doyle sich der wütenden Leserbriefe nicht erwehren konnte und sich genötigt sah, Sherlock Holmes kurze Zeit später wieder aufleben zu lassen...
Ganzer Text
Mit "Sherlock Holmes' Buch der Fälle" und "Der Hund von Baskerville" schuf er die vielleicht bizarrsten Stories der langen Karriere von Mr. Holmes. Wir widmen uns mit diesem Projekt eben jener Spätphase, in dem der klassische Krimi-Mord zugunsten raffinierter gestalteter Abgründigkeiten ersetzt wird. Keinen simplen Tatort-Plot, sondern die unendliche vielfältige Landschaft menschlicher Leidenschaften breitet diese Aufführung vor ihrem Publikum aus. Der klassische Krimi mit all seinen Ingredienzien wird zum Ausgangspunkt für einen Trip in die dunkelsten Kapitel existenzieller Bedürfnisse. Der Wunsch nach Liebe, Anerkennung, Rache und Status treibt das Personal dieser Geschichten an. Auch Holmes und Watson bleiben nicht länger potenzielle Gutmenschen, auch sie sind Getriebene im Strudel ihres eigenen wissenschaftlichen Interesses. Auf psychopathologische Weise sind sie süchtig nach dem perfekten Verbrechen, oder, wie es der berühmte Detektiv einmal selbst formuliert: "Nichts ist so ungewöhnlich wie das Gewöhnliche." In Sherlock Holmes' Welt herrschen die Gesetze einer unerbittlichen Logik. Auf jede Handlung folgt eine weitere. Präzise Beobachtung leistet die Basisarbeit für jegliche Analyse. Den Gesetzen der Kausalwirkung folgend, meistert er komplexeste Fallstrukturen innerhalb kürzester Zeit ohne die Instrumente modernster Verbrechensbekämpfung. Wie für uns ist ihm das "Wunder", das "Mysteriöse" nur eine lachhafte Beschreibung für das Unerklärte. In BASKERVILLE gehen wir über die Grenzen des Logischen und konfrontieren die Ermittler mit den irrationalen Zonen ihrer eigenen Wahrnehmung. Der Zeitungskolportageroman dient in dieser Version als Projektionsfläche für die ewigen Fragen moderner Rechtsphilosophie: Was, wenn juristische Rechtsprechung zu moralischer Ungerechtigkeit führt? Welche Diskrepanzen bestehen zwischen Recht und Gerechtigkeit? Wo wohnt das Böse? Für Sherlock Holmes, die Denkmaschine mit ihren abgetöteten Leidenschaften, ist die kriminologische Aufarbeitung des Verbrechens ein Spiel. Für Karl Marx fungiert in einem denkwürdigen Pamphlet der "Produzent eines Verbrechens" als Arbeitsplatzbeschaffer. Beide, der Ermittler und der Schurke, sind ohne den anderen nicht denkbar. Wie schmal der Grat zwischen Normalbürgertum und Verbrechen sein kann, wie brüchig die Vorstellung unserer oft selbstgerechten Moralkonstruktion - mit diesen Parametern unserer gesellschaftlichen Ordnung befasst sich BASKERVILLE. Zehn Schauspieler begeben sich auf die Suche nach dem letzten, dem größten, dem meisterlichen Verbrechen. Sherlock Holmes' Sucht nach dem unlösbaren Fall ist unsere eigene. Was, wenn am Ende aller Fälle, nichts steht als das pure, unmotivierte und damit unbesiegbare Böse? In einer Art Montagetechnik verschränken wir einige der letzten, ausgefeiltesten Geschichten des Meisterdetektivs zu einer raschen und präzisen Szenenfolge. Im Zentrum steht das zum Täter gewordene Opfer. So chirurgisch präzise der Londoner Detektiv seine Fälle seziert, so nebulös wirkt auf den Zuschauer die am Ende eintretende "Gerechtigkeit". In einem abstrakten Bühnenbild, gleichzeitig "Black Box" des Verbrechens wie stilisierte Spiegelung der zeitgenössischen Metropole, dekonstruiert diese Aufführung die Klarheit der Ermittlung wie die scheinbar logische Vorstellung von Gut und Böse. Die ins Zentrum unserer aufgeklärten Philantropie geschlagene Kerbe bleibt im Bewusstsein des Zuschauers, das Gerechtigkeitsempfinden nur ein Möglichkeitssinn unter vielen Alternativen. Ausgetrieben wird der missbrauchten und allgegenwärtigen Krimigattung jegliche Putzigkeit. BASKERVILLE bietet Stoff für den interessierten Fernseh- wie Theaterbesucher und führt das Genre in epischer Breite auf die Wurzeln zurück, aus denen es entstand, nämlich das Wissen um die potenzielle Täterschaft in uns allen.
Regie Andreas Wiedermann Bühne Udo Ebenbeck Lichtdesign Peter Younes Ausstattung Uta Lederer-Hensel Mit Franz Brandhuber, Simon Brüker, Urs Klebe, Christina Matschoss, Clemens Nicol, Andreas Niedermeier, Micky La Rosée, Friedrich Custodio, David Thun, Matthias Wagner
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